Mittwoch, 11. Oktober 2017

Horrorctober 2017: Loreley's Grasp (5/13)

Vielleicht nicht alle Welt, aber zumindest ganz Europa blickt derzeit mit Spannung nach Spanien. Ruft Katalonien wirklich die Unabhängigkeit aus und spaltet sich somit vom Mutterland ab? Die gleiche Aufmerksamkeit, die das Land derzeit für seine politisch angespannte Situation erhält, hätten auch viele spanische Genrefilme verdient. Zu oft bleibt man beim Gedanken an Horror oder ähnlichem aus Europa in Italien oder England hängen. Spanische Horrorfilme fristen leider ein gewisses Schattendasein, was auch Oliver Nöding schön in seiner Besprechung zu Loreley's Grasp bemerkt hat. Dessen Schöpfer Amando de Ossorio ist zum Beispiel Vater einer der bekanntesten Horrorfilm-Reihen Spaniens: man kann seinen hoch zu Rosse agierenden, untoten Tempelrittern nicht gänzlich ihren trashigen Charakter absprechen, ebenso wenig aber den Kultfaktor. Die Nacht der reitenden Leichen ist trotz (oder wegen) seines kruden Mix aus atmosphärischem Gothic-Horror mit sleazigen Spitzen ein sehr unterhaltsamer Film.

Mit der gleichen Rezeptur wagte sich De Ossorio an die deutsche Volkssage der Loreley. In The Loreley's Grasp wird eine am Rhein gelegene, kleine Stadt von grausigen Morden an jungen Frauen in Atem gehalten. Geht man zuerst von einem wilden Tier aus, schürt ein blinder Geiger mit seinen Erzählungen über die Loreley die Angst und Ungewissheit unter den Bewohnern. Abhilfe soll der Jäger Sigurd (!) schaffen, der sich in einem Internat, von einigen knackigen Damen bewohnt, einnistet um zum einen das Internat und seine Bewohner zu schützen, zum anderen das vermutete, mörderische Getier zur Strecke zu bringen. Er macht dabei nicht nur Bekanntschaft mit einem Professor, der mit seinen Forschungen die Sage auf Echtheit überprüft, sondern auch mit einer geheimnisvollen Frau, die leicht bekleidet immer in der Nähe des Rheins zu sehen ist. Sigurd geht der Frage nach, ob es sich hier wirklich um die legendäre Loreley handelt.

In Ossorios Händen wird aus der allseits bekannten Sage ein wildes Leinwandtreiben, angesiedelt zwischen Monster- und Mad Scientist-Horror, der wie auch die reitenden Leichen leichte Ausflüge in den Gothic-Horror unternimmt und dazwischen jede Menge Lifestyle-Klischees der 70er auspackt und bestätigt. Nüchtern betrachtet schafft es der spanische Regisseur die Abläufe dieser Horrorspielarten auf gutem Durchschnitt aneinanderzureihen, deren Regeln einzuhalten und leider leicht spannungslos, da alles recht vorausschaubar ist, abzuspulen. Schön ist, dass De Ossorio diese Limitiertheit von Anfang an bewusst ist. In einem knackigen Tempo peitscht er seine Figuren durch eine Geschichte, die in den richtigen Momenten bei aufkommendem Leerlauf die ganze Bandbreite an Schauwerten ausspielt. Das Internat mit seinen jungen Bewohnerinnen, die wunderhübsche Silvia Tortosa als strenge Lehrerin Elke Ackermann und Helga Liné als Loreley bieten - anders kann man das nicht sagen - ordentlichen Eye-Candy. Dem Gegenüber steht Tony Kendall, sonst eher aus Italowestern bekannt, der in fescher, wunderlich gemusterter 70s-Klamottage meist mit der Flinte im Anschlag durch's Internat oder am Rhein spaziert, Helga Liné hinterherschmachtet oder seinen ganzen Machismo an Frau Tortosa ablässt.

Dazwischen inszeniert De Ossorio die Monsterangriffe - sicher durch das geringe Budget bedingt - beinahe gialloesk, wenn nur die grüne Klaue des Monstrums gezeigt wird, die sich ihren Weg zu den nächsten, leicht beschürzten Opfern bahnt. Am Ziel angelangt, metzelt die Sagengestalt ordentlich rum und präsentiert einfach gehaltene, aber für die damalige Zeit recht blutige Effekte; im Kontrast stehend zur sich langsam anbahnenden Liebesgeschichte zwischen Sigurd und Loreley. Auf den ersten Blick unbeholfen inszeniert, spielt Loreley's Grasp damit seine Qualitäten fern vom Trashfaktor aus: die beinahe in den Kitsch abdriftende Romanze öffnet in der zweiten Hälfte Tür und Tor für schauerlich gotische Bilder. De Ossorio hätte hier seinen Hang dazu ruhig stärker ausleben können. Sigurds Abstieg in die unterirdische Höhle der Loreley zum Beispiel bietet hübsche und atmosphärische Szenen. Die spürbare Überambition, zügellos Elemente einzelner Subgenres in ein fast chaotisches Gesamtbild zusammenzuführen, bremst den Film manchmal leider aus.

Bleibt noch der Charme des Films zu erwähnen, den er auf uns deutschen Zuschauer ausstrahlt. Ein gewisses Schmunzeln über die Bemühungen, alles so deutsch wie möglich aussehen zu lassen (inklusive Stock Footage-Aufnahmen vom Rhein), hat man die ganze Zeit über im Gesicht. Mit dem kernigen Geschlechterbild der damaligen Zeit, mit hilflosen Frauen und vor Testosteron auslaufenden Heroen mit tragisch-romantischer Achillesferse für schöne, geheimnisvollen Frauen ergibt Loreley's Grasp einen Film gewordenen Groschenroman. Einen guten wohl gemerkt mit schundig-schönen, amüsanten und gleichermaßen seichten wie romantischen Szenen. Die durchschimmernde Unbedarftheit, schenkt einem objektiv betrachtet mäßigem Horrorfilm seine liebenswerten Eigenheiten, die mich gute 85 Minuten bestens unterhielten. Frei nach Heinrich Heine kann ich abschließend nur sagen:

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so belustigt bin;
Ein Filmchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.


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